Sie erzählen Sound mit dunklen Farben und Bässen, die so dickflüssig wie Kartoffelsuppe wirken. Tale Of Us sind aber nicht nur eine Geschichte von einzigartiger Musik, sondern auch von zwei Künstlern, die lange vor dem nichts standen. Im MMA München bretterten die Italiener ihre märchenhaften Tracks in die frenetische Menge. Eine Konzertreview.
Das Mixed Munich Arts (kurz MMA) München feiert Zweijähriges. Zwei Partys, zwei Line-Ups, das kommerzielle Highlight ist zur Geburtstagssause definitiv Tale Of Us in der Nacht von Freitag auf Samstag. Ergänzend haben sich die Macher des „kleinen Münchener Berghains“ Künstler wie Ellen Allien, die Zenker Brothers, Matrixxman oder auch Midland geholt, letzterer heizt das gut gefüllte Warehouse in der Münchener Innenstadt für Tale Of Us in dieser Freitagnacht auf.
Von Burschifrisur und Schnurrbart
Zu den Lieblingen des MMA (hier geht es zur Website) gehört derzeit das Label „From Another Mind“, gegründet von den Stuttgartern SHDW und Obscure Shape. Die Künstler des Imprints gehören zu den Residents des Clubs. Ein Teil des Labels ist auch Javier Bähr, ein echter Jungster, schlichtes graues Shirt, gerade geschnittener Pony, eine wandelnde Burschifrisur mit hartem Sound und melodiösen Ausflügen. Er ist der Erste, der die Geburtstagskerzen in der großen Halle anzündet. Nach drei Stunden übergibt er an einen Londoner, der sich mit Schnurrbart und groovigstem Sound in das Herz der tanzenden MMA-Bevölkerung spielt: Midland. 2016 erst mit einem wahnsinnigen Mix für BBC Radio 1 Essential Mix aufgefallen, ist er der erste Headliner des Geburtstagsgipfels und überzeugt auf ganzer Linie.
Perkussive Groovetracks mit gesunder Härte
Von 2 – 4 Uhr wird der Sound nicht nur lauter, sondern auch deutlich härter. Perkussive Groovetracks dominieren das Set von Midland, das ein echter Überraschungsknaller für alle Beteiligten ist ist. Von einem lässigen Start in die Nacht ist hier schon nichts mehr zu spüren. Die Frage drängt sich auf: Was können Tale Of Us im Anschluss da drauflegen?
Tale Of Us sind da
Kaum anders von Superstars zu erwarten, betreten die beiden Italiener Carmine Conte und Matteo Milleri erst um 3.50 Uhr die heiligen Hallen des MMAs – zehn Minuten vor Setstart. Ein kleines Raunen vor der Bühne und einige Fingerzeige sind deutlich zu hören und zu sehen. Auf die beiden Jungs in schwarzer Klamotte haben alle gewartet. Da ist so ein Hauch von Ehrfurcht und Aufregung durchaus angebracht, haben sich Tale Of Us seit 2013 mit „Another Earth“ ein eigenes Denkmal gebaut und eine internationale Fanbase aufgebaut.
Vom italienischen Schickimicki in die Berliner Kälte
2013? Das ist ein zeitlicher Katzensprung für eine Karriere, die sehr viel früher hätte beginnen sollen. Vor vielen Jahren bereits schmiss das Duo in Norditalien, ihrer ursprünglichen Heimat, erst einmal alles hin. Der komplette Bruch mit der beiderseits gut bürgerlichen Familie, Studium ohne Abschluss beendet, alles auf eine Karte gesetzt. Für die Musik und vielleicht auch, um es sich selbst zu zeigen. Der Anlaufpunkt der beiden war die Technometropole Berlin. Ein Zimmer teilten sie sich lange Zeit, produzierten hunderte von Tracks, spielten für das nackte Überleben, Essen, Trinken und neue Synthesizer. Jahrelang ging das so, immer mit einem Ziel vor Augen – einem, das sie seit drei Jahren endlich erreicht haben dürften.
MMA? Gemähte Wiese
Ein kleines bisschen Arroganz schwingt durchaus mit, wenn Tale Of Us so vor einem stehen. Wenig Blickkontakt mit dem Publikum, harte Bässe, die typischen Tonleitern. Es ist absolut keine Überraschung, was das Duo an diesem Samstagmorgen aufspielt – aufregend ist es an keiner Stelle, dennoch überragend gut. Das ist kein Widerspruch, denn so kalkulierbar ein Set von Tale Of Us ist, so fantastisch sind eben die eigenen Produktionen und Promos, die Carmine und Matteo immer wieder auf ihren beiden Apple-Laptops zum Besten geben. Gespielt wird auf zwei CDJs, einem Allen & Heath 92 und zwei Controllern, die die Software „Traktor“ auf jeweils zwei Trackdecks steuern. Wochenendlich sind Tale Of Us mit genau diesem Setup auf Tour, daher kommt die riesige Portion Souveränität. In Bayern sagt man zu so einem Gig wie im MMA eine „gmade Wiesn“, also eine gemähte Wiese. Das ist quasi ein Gleichnis für einen Selbstläufer.
“North Star” ragt heraus
Anhand der Reaktionen der MMA-Gänger lässt sich im Set neben dem Openingtrack ganz klar ein Favorit herausfinden. Als Tale Of Us ihren erst 2015 releasten Track „North Star“ auf R&S Records spielen, gibt es in der Halle kein halten. Einige Wagemutige erklimmen immer wieder die großen Bassboxen vor der Stage – zum Missmut der Türsteher/innen. „North Star“ wummert lange zwischen diesen beeindruckenden über 20 Meter hohen Wänden nach. Ein Track, der wie gemacht ist für eine Location wie das Mixed Munich Arts, die viel Raum und Hall ermöglicht.
Konzentration und „Water only“
Tale Of Us sind es gewohnt vor so einem Publikum zu spielen, ab und zu tauschen sie ein paar Blicke miteinander aus, lächeln kurz aber nur wenig euphorisch. Ansonsten ist zwei Stunden Konzentration angesagt, es gibt lediglich Wasser, keine Shots. Nur 15 Minuten nach 6 Uhr morgens geht es schon wieder ins Hotel.
Matrixxman = Donnergott
Auf Tale Of Us folgt der US-Amerikaner Matrixxman. Bekannterweise mit Sound, der durchaus etwas härter als der der italienischen Vorgänger ist. Und das beweist er auch. Wie Maschinenfeuergewehr klingt die alte Benjamin Damage-Nummer, die Matrixxman schon zu Beginn auspackt. Es folgen Tracks, die nur noch die Hartgesottenen immer dichter vor das Pult drängen lässt. Das MMA leert sich schon zum Ende des Tale Of Us-Sets merklich, Matrixxman hält den Kern, der zum Stampfen gekommen ist beisammen. Wer die Härte nicht erträgt, geht eben.
Sonne? Hell!
Tageslicht gibt es im MMA in der Katharina-von-Bora-Straße nicht – in keinem der beiden Floors. Daher ist es doch immer wieder eine Überraschung, wenn der erste Fuß aus der Tür tritt und die Augen müde blinzeln. Licht! Es gibt dich noch! Für viele hat der Arbeitstag an diesem Samstagmorgen um 8 Uhr schon angefangen, für die meisten Tale Of Us-Besucher beginnt erst jetzt die Nacht – nach einem wirklich ziemlich guten Tag!