In fünf lyrisch witzigen, teils tiefgründigen und ganz sicher unterhaltsamen Episoden beschreibt der Jenaer DJ und Produzent Mario Wilms alias Douglas Greed, wie sein neues Album Driven entstanden sind. Wir haben für euch alle fünf Episoden zusammengefasst. Besser, als so mancher Roman. Pflichtlektüre vor allem für alle, die selbst Musik machen.
Episode 1/5
Da draußen sitzen tausende von Produzenten in ihren Kellern, an ihren Maschinen, bei ihren lauwarmen Bieren.
Sie raufen sich die Haare bis die Geheimratsecken Glatzen sind, sie strapazieren ihre Beziehungen, bis die Freundin Ableton von der Festplatte löscht, und sie schicken Bässe durch die Wände, bis die Nachbarn zum Fenstersprung ansetzen.
Doch wenn sie gefragt werden wie es war ein Album zu machen sagen alle immer „ja, war nett… “ „hat Spaß gemacht…“
Keiner erzählt davon wie es ist, wenn man mehrere Monate permanent unter Strom steht und die Nerven kratzig sind wie Blondinen auf Crystal Meth.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass die Basis unseres Milieus der Spaß ist.
Bei Gothic, Indie und Metal gehören der hängende Kopf und die in der Badewanne geöffnete Ader ja zum guten Ton.
Doch wer will schon einen DJ flennen sehen?
Gute Laune muss meistbietend versteigert werden!
Nichtsdestotrotz möchte ich, schon alleine wegen des therapeutischen Effektes, meine Erfahrung aus dem letzten Jahr teilen. Schließlich wissen die wenigsten wie es ist, wenn man sich den eigenen Track tausendmal anhört um dann beim tausend und ersten Mal zu realisieren, dass die Bassline doch nicht so breit ist wie Abiturienten auf der Klassenfahrt.
Es ist, als wäre man Testperson für ein Medikament das als Nebenwirkung bipolare Störungen erzeugt. Man befindet sich in einem permanenten Schwanken zwischen Freude und Verzweiflung, Manie und Depression, Sport und Bier.
Es ist ein Wechselbad der Gefühle, bei dem jemand vergessen hat den Stöpsel zu ziehen, und nun hinterfragt man, in einer lauwarmen Brühe aus Wasser und Eigenurin sitzend, jeden Beat und jede Melodie.
In diesem Zustand extremster Angespanntheit reichen die kleinsten Impulse, um dich zusammenbrechen zu lassen.
Beim Treppenlauf fange ich an zu heulen, weil die Nachbarin drei Stufen vor mir mit gleicher Geschwindigkeit läuft und unser synchronisierter Klang an den Track erinnert, mit dem ich gerade nicht vorwärts komme.
Vor dem Kühlschrank kollabiere ich, weil der Schraubverschluss der Milchverpackung die gleiche Griffigkeit hat wie der LFO meines Synthesizers.
Ich versuche mich mit Listen zu motivieren – den Faden nicht zu verlieren.
Nach einer Weile sieht es in meinem Studio aus wie bei einem Serienmörder.
Tausende vergilbte Zettel verdecken Wände und Fenster. Zwischen ihnen spannen sich verblichene Wollfäden, die lustlos im Raum hängen wie Texaner nach der Hinrichtung.
Eine Liste Beats.
Eine Liste Tracknamen.
Eine Liste Easylistening.
Neben all dem Wahnsinn, all dem Ying und Yang der eigenen Verfassung kommt hinzu, dass Freunde anfangen Ratschläge zu geben. „Mehr Dancefloor…Mehr Pop…Meersalz…!!!“
Natürlich weiß ich zu schätzen, dass sie mich an ihren Erfahrungen teilhaben lassen möchten. Doch schon früher glaubte ich meiner Mutter nicht, dass Bügeleisen nicht zum Spielen sind. Man muss seine Erfahrungen selber machen, auch wenn sie Abdrücke im Gesicht des Bruders hinterlassen.
So versuchte ich mich so weit wie möglich abzukapseln und gegen Ratschläge resistent zu machen.
Monate der Unrast, der Schlaflosigkeit und der ledrigen Augenringe begannen.
Episode 2 / 5
JANUAR 2013
Ein frisches Jahr präsentiert sein jungfräuliches Gesicht und ich bin geneigt ihm einen Bart zu malen.
Lege dich nicht schlafen, unbeflecktes Ding. Dougi hat viel vor!
Mein Bierbauch muss sterben und ein neues Album soll leben.
Ein Vorhaben – Ein Jahr.
Mein erstes Album “KRL“ war einfach irgendwann da. Nahezu fertig lümmelte es auf meiner Festplatte ohne das ich es wusste. Als mich unser Freude Am Tanzen Kardiologe, Thomas Sperling, fragte “Dougi, wie schaut es denn eigentlich mal mit einem Album aus?“, inspizierte ich alles, was ich an Skizzen hatte und stellte erschrocken fest, dass das Ding eigentlich nur noch ein paar Tritte benötigte, um das Licht der Welt zu erblicken. Damals gab es eigentlich nie die Absicht ein Album zu machen. Es war plötzlich da, versteckt zwischen Dutzenden von Skizzen und Tracks. Mancher sieht eben den Wald vor lauter Bäumen nicht. Ich sah das Album vor lauter Tracks nicht.
Diesmal habe ich das Vorhaben ein Album zu machen ohne das Glück, dass es bereits von der Festplatte schimmert.
Ich stöbere also durch Skizzen, nicke einigen wohlwollend zu während ich andere knisternd im Papierkorb vernichte.
Nach der Sichtung des Rohmaterials komme ich mir vor als hätte ich hungrig die Tür eines vollgepackten Kühlschranks geöffnet. Die Zutaten sind da und der Magen knurrt. Eigentlich kann es los gehen… Aber wo fängt man an? Wie macht man es und wo will man hin?
Soll ich eine karrierefördernde Dancefloorbude zusammenkleben?
Oder scheiße ich auf alles und mache einfach was kommt – planlos treibend zum Ziel?
Ich beschließe ersteres und mache letzteres.
FEBRUAR 2013
Aus gut 80 Skizzen in verschiedensten Stadien (roh, sehr roh, ungeräucherter Tofu) ziehe ich 15 Tracks, von denen ich das Gefühl habe, dass sie zusammen passen.
Ich beginne damit sie grob zu arrangieren, sie nochmals auf Herz und Niere zu prüfen.
Die Spanne ist breit. Von funktional über emotional bis schal ist alles vorhanden. Das einzige was fehlt, ist eine knackige Death-Metal-Ballade.
Ich klemme mir die rohen Werke beim Joggen ins Ohr, lass sie beim Kochen über den Sound meiner Dunstabzugshaube schreien und ärger Freunde mit gebrannten CD’s auf langen Autofahrten.
Mit einigen Tracks fange ich liebevolle und leichtbekleidete Beziehungen an, andere Tracks verabscheue ich bereits nach einigen Hörprozessen und mit ein paar Nummern verfalle ich in Hassliebe.
Es gibt sie einfach, diese Tracks von denen man selbst nicht recht überzeugt ist oder gar nicht weiß, ob man sie nun unglaublich gut oder unglaublich schlecht findet. Gefährtinnen, die etwas haben – man weiß nur noch nicht, ob es schöne Augen sind oder eine ansteckende Krankheit.
Doch es zeichnet sich bereits ab, dass aus meinem Vorhaben, ein funktionales Danceflooralbum zu schmieden, nichts wird. Das Verlangen Songs zu Schachteln ist zu groß.
Irgendwie macht es ja auch Sinn: ich würde auch nicht auf die Idee kommen, mir zehn Dancefloortools am Stück und ungemixt anzuhören.
Und überhaupt, drauf geschissen! Es geht um Musik und nicht um graue Konzepte.
MÄRZ 2013
Ich versuche diszipliniert sechs Stunden am Tag im Studio zu verbringen.
Gelegentlich mache ich in dieser Zeit auch Musik.
Manchmal schiebe ich allerdings nur apathisch die farbigen Klötzchen über den Bildschirm als wäre ich ein Zombie mit Vorliebe für digitales Lego.
Doch in kleinen Etappen wächst das Baby und das Studiobier sorgt dafür, dass ich nach einigen Wochen auch so aussehe als gebäre ich es bald.
Ich beschließe mir erst Sorgen um meine Gesundheit zu machen, wenn das Album fertig ist – man(n) muss Prioritäten setzen!
Von den 15 Tracks, die ich in der Startauswahl hatte, habe ich mich Joachim-Löw-mäßig von sieben Nummern wieder verabschiedet. Seltsamerweise sind die drei Hasslieben in der Auswahl geblieben. Ich rede mir ein, ich sei ein guter Trainer und besitze das erforderliche Fingerspitzengefühl, das es mir erlaubt jenes „Je ne sais quoi“ zu erahnen, wo es noch nicht mit dem Ohr erkennbar ist.
Nun habe ich also acht Nummern übrig und entscheide mich, diese komplett fertig zu machen, bevor ich einen neuen Track beginne.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!
Es erfordert von mir natürlich eine gewisse Disziplin diesen Beschluss durchzuziehen. Viel zu verführerisch ist das Verlangen neue Sachen anzufangen, statt sich mit dem lästigen Arrangement zu befassen.
Das schöne am Musik machen, der fließende Prozess in dem der Kopf ausgeschaltet ist, sind nur gefühlte fünf Prozent der Zeit, die ich mit einem Track verbringe. Ich weiß nicht, ob das nur mir so geht – vielleicht bin ich zu langsam, vielleicht bin ich zu ungeschickt – tatsächlich kostet die meiste Zeit das Arrangement.
Hätte ich Kontakte, würde ich jemanden beim Fraunhofer-Institut beauftragen einen Arrangementroboter zu bauen, sozusagen als Wiedergutmachung für das Erfinden des MP3-Formates.
Ich sitze also diszipliniert meine sechs Stunden am Tag im Studio, um die acht Tracks auszufeilen. Am Ende des Monats habe ich fünf brandneue Nummern und keinen einzigen von den alten auch nur im Ansatz arrangiert.
Es kommt immer alles anders als man denkt und ich selbst scheine keine Balance zwischen Planung und Spontanität herstellen zu können.
Ich nehme mir stets vor, Dinge zu beenden, doch manchmal höre ich mitten im…
Episode 3 / 5
April 2013
Demos abzugeben fühlt sich unbehaglich an.
Erinnerungen an die Umkleidekabine vor dem Sportunterricht kommen auf.
Es riecht nach Schweiß, man lässt die Hose runter und man fragt sich, ob alles dick genug ist.
Nachdem die Zeit der wochenlangen Askese vorbei ist, tritt man hinaus in die harte Wirklichkeit und lässt über sich richten.
Man geht Klingeln putzen wie Mormonen, nur nicht ganz so gut gekleidet.
Gemeinsam mit Mooryc habe ich einige Tracks unter dem Pseudonym „Eating Snow“ produziert und wir sind auf der Suche nach einem Label.
Wir haben Wunschkandidaten – und Bpitch steht mit oben auf der Liste.
Mein Kumpel Mathias hat ein Demo an Ellen Allien weitergeleitet und es beginnt die Zeit des ungeduldigen Wartens.
Die E-Mails werden auch in der Nacht gecheckt, das Handy ist selbst unter der Dusche dabei und das Namensschild am Briefkasten wird in dicken Buchstaben erneuert.
Es könnte ja sein, dass Antwort via Postkarte oder Paket kommt.
Es gibt nichts Schlimmeres als auf Feedback zu warten und ich frage mich ob es einen Knigge für Labelsuchende gibt.
Findet man heraus, wer die Person ist, welche die Demos checkt? Und wartet dann vor dem Kindergarten auf dessen Nachwuchs, um ihm kleine Präsente und Notizen für Mama oder Papa mitzugeben?
Schreibt man alle zwei Tage eine E-Mail oder geht man einfach mal im Büro vorbei, im bodenlangen schwarzen Mantel, Schnürstiefeln und verspiegelter Sonnenbrille?
Schreibt man E-Mails mit oder ohne Emoticon?
Nach welcher Wartezeit versteht man die Stille als leises aber bestimmtes “Nö du, lass ma!“?
Es fühlt sich an wie damals als ich begann Musik zu machen.
Das Selbstbewusstsein ist im Keller und der Selbstzweifel tanzt auf dem Dach Lambada.
Ich nehme mir vor in Zukunft meine E-Mails schneller zu beantworten, wenn mir jemand Musik schickt.
Schließlich, nach vielen unruhigen Nächten bekomme ich endlich Antwort von Ellen Allien, einer unserer Tracks wird auf der nächsten Compilation erscheinen.
Im gleichen Atemzug fragte sie mich nach einem Douglas Greed Solorelease und, ob ich nicht Lust hätte, ein Album auf BPCTRL zu machen.
Bisher hatte mich noch keiner darum gebeten ein neues Album zu machen.
Mehr oder weniger ungefragt wollte ich das Ding für mich selber häkeln.
Ich soll bereits gegen Ende Mai was pitchen.
Druck.
Mai 2013
Die Deadline für das Ende des Monats steht dick im Kalender.
Skizzen habe ich genug – nun müssen also die „richtigen“ ausgesucht, fertiggemacht und für gut befunden werden.
Doch welche sind die „Richtigen“?
Wie schafft man es Abstand zur eigenen Musik zu erhalten und sie auch nach dem Tausendsten mal mit frischen Ohren hören zu können?
Es ist ein wenig so wie in einer Langzeitbeziehung, irgendwann wird der Körper des anderen zum eigenen.
Es stellt sich also die Frage, wo höre ich auf und wo fange ich an?
Einen Schritt zurückzutreten und mit unbefangen Sinnesorganen zu betrachten ist schwer, wenn man schon so viel Zeit miteinander verbracht hat.
Man kann das mit ganz ganz viel zeitlichem Abstand machen, sich die Stücke ein paar Monate lang nicht anhören und dann schauen, ob sie immer noch gut sind.
Ich kenne Leute, die löten sich mit ein paar Flaschen Wein die Ohren frisch oder verbinden das ganze gleich mit einer lokalen Weinverkostung. Sie bohren sich dort in geselliger Runde ihre Kopfhörer in die Muschel.
Ich selber bevorzuge es beim Joggen oder beim Lebensmitteleinkauf meine Stücke zu prüfen.
Auch gut geeignet sind lange Bahnfahrten oder Filmchen a la „Die schönsten Bahnstrecken Deutschlands“.
So kann man dann mit verkrieselter Kurvenlage noch mal checken, ob die HighHatz zu spitz, der Text zu blöd und die Bassline zu schwer ist.
Nichtsdestotrotz schaffe ich es dann doch wirklich zum Monatsende eine grobe Albumskizze von sieben Tracks abzugeben.
Juni 2013
Da war es wieder… „das ungeduldige Warten“.
Nachdem ich einen ersten Albumentwurf abgab, sitze ich nun mit feuchten Handflächen unter der Dusche. Neben mir – sauber alphabetisch aufgereiht – leere Weinflaschen, eine Rückenbürste und ein Katzenklo.
Das warten auf Feedback verkürzte sich; aber diesmal durch den Umstand, dass ich beschloss ein paar Wochen in Berlin zu verbringen, um an meinem Projekt „Eating Snow“ zu arbeiten.
Sozusagen Albummachen als Urlaub vom Albummachen.
Niklas Luhmann wurde mal die Frage gestellt:
„Was machen Sie denn, wenn Sie mal nicht an einem Buch scheiben?“
Er erwiderte: „Dann schreibe ich an einem anderen Buch!“
Als sich dann endlich Feedback am Horizont zeigt, verabrede ich mich mit Ellen auf eine Videokonferenz via Skype.
Ihr gefällt der erste Entwurf. Wir unterhalten uns über dies und das, und natürlich über das Album.
Nach einer guten Stunde haben wir beide ein ganz gutes Gefühl davon, was wir voneinander erwarten und was wir voneinander nicht erwarten können.
Erleichtert und motiviert klettere ich zurück in mein Studio.
Manchmal ist es einfach am besten, wenn man sich ins Gesicht schaut und einen gepflegten Gedankenaustausch abhält.
Denn wie sagte schon Sokrates „Hast du erst einmal einem Menschen via Skype in die Bude geschaut, so kennst du auch sein Herz“.
Episode 4 / 5
JULI 2013
„Schreibe über das, was dich beschäftigt, über das, was du erlebst!“ sagt meine Großmutter, als ich ihr davon erzähle, dass ich die Texte für mein neues Album gerne selber schreiben möchte. Aber ich glaube keiner mag die Geschichte hören, wie ich auf einem OpenAir gleich zu Beginn des Sets einen Hexenschuss bekam, wie ich es immer noch nicht hinbekomme, mich um meine Altersvorsorge zu kümmern, oder dass ich, auch weit über meine Pubertät hinaus, immer noch Probleme mit unreiner Haut habe.
Doch ich habe es mir nun einmal zum Ziel gesetzt auf diesem Album die Texte selbst zu häkeln. So tragen die ersten Entwürfe dann auch Namen wie, „oh oh my back hurts, but I’ll keep on playing that chicago shit“ oder „Let´s save some money for later when I’m old!“ und „Hey, Hey, make my skin clean ’cause I don’t go to school no mo“. Nach dem Ausloten selbstreferenzieller Untiefen beschließe ich jedoch das zu machen, was ich im HipHop gelernt habe – die Ideen anderer klauen und dann schulterzuckend zu diskutieren „Samplen ist auch Kunst!“. Und so klebt dem zweiten Entwurf der Texte der süßliche Duft des „Warte ma, das kenn ich doch“ hinterm Ohr.
Highlights der Playlist:
„Green Monday“
„Rock around the watch“
„I will allways like you“
„Yes sir I can tango“
„My heart will go off“
„Wind of remain“
„Y.M.C.E.“
„The house of the rising moon“
„Sky and those small stones from the beach“
Doch auch mit diesen, zumindest vom Klang her schwer hitverdächtigen Titeln, konnte ich mich nicht zufrieden geben. Und so schrieb ich, wann immer mir eine Zeile durch den Kopf kletterte, kleine Notizen nieder, um aus ihnen später vermeidlich intellektuelle Sylvesterraketen zu basteln, deren Explosionen in die Ferne strahlen sollen.
AUGUST 2013
Ein altes Thüringer Sprichwort sagt „Wer im August baden geht, ist im Dezember nicht mehr nass“. Und so stürzte ich mich hinein in das spätsommerliche Wechselbad der Gefühle. Statt wie die anderen Kinder draußen in der Sommersonne von den Bäumen zu fallen, Eisgeld von Rentnern zu stehlen und heimlich Schnaps zu brennen, saß ich im Studio. Hin- und hergerissen zwischen strotzendem Selbstbewusstsein und nagendem Selbstzweifel machte ich die Tage zur Nacht. Abends ging ich ins Bett und dachte “fettes Ding“. Morgens wachte ich auf und merkte “was ’ne Scheiße“. Futsch war sie, die Fähigkeit die eigene Musik beurteilen zu können. Vorbei waren die lockeren Tage, in denen ich mal hier und mal da ganz ungeniert mit dem einen oder anderen Beat unter die Bettdecke hüpfte, um ihm am LFO zu lecken. Zurückgezogen und verloren im Dickicht eines unfertigen Albums entwickelte ich mich zum soziopatischen Beatwaldschrat. Der Bart hing mir vom Gesicht wie traurige Girlanden auf einer schlecht besuchten Kindergeburtstagsparty und meine Augen verkrochen sich in das innere meines Schädels, während sich meine Stirnhöhle aus dem Gesicht erhob, um in ihm eine Sprungschanze der Verzweiflung zu errichten.
Draußen lachten die Kinder.
Ich holte sie mit meiner Zwille vom Baum.
SEPTEMBER 2013
Neben all dem Selbstzweifel, einer Kaffeeabhängigkeit der Warnstufe Lila und einer drückenden Deadline fingen vor meinem Studio lärmende Bauarbeiten an. Freundliche Herren mit flatternder Bierfahne kletterten über krachend scheppernde Baugerüste und hörten aus batteriegestützten Radios „Das Beste der 60er bis 90er und aber auch was Tolles von heute!“. Ich versuchte mich nicht beirren zu lassen und schraubte fokussiert, kaffeegestützt und dem Wahnsinn nahe weiter. Bei mir schepperte die Kickdrum – draußen wurde dazu im Off die Wand abgeschliffen. Ich machte meine Monitore notgedrungen immer lauter und lauter.
Nach drei Tagen klopfte es an meinem Fenster und ein Herr besten sozialen Standes, mit einem drohendem Spachtel in der rechten und einem fehlenden Intellekt in der linken Hand fragt mich „Muss diese HottenTottenScheiße denn sein? Wie solle ich denn dabei arbeiten?“ Freundlich versuchte ich ihm zu erklären, was ich mache. Schlussendlich arbeite ich hier ja auch gerade, schließlich muss ich ja meine Hamsterzucht durch den Winter bringen. Doch der Kollege mochte sich auf das Gedankenspiel der Arbeitskameradschaft nicht einlassen und verabschiedete sich mit einem wärmendem: „Mach die Scheiße aus oder es knallt!“. Doch ich hatte schon immer ein Problem damit, wenn mir jemand sagen wollte, was ich zu tun oder zu lassen habe. Und so stellte ich meine beiden Paare Monitorboxen, und das Paar, welches ich mir von meinem Studionachbarn borgte, auf das maximal Mögliche und lies sie Jeff Mills „The Bells“ stundenlang aus sechs Boxen und dem angekippten Fenster schreien, während ich einen ausgedehnten Radausflug machte. Mein Arbeitskamerad klopfte danach nie wieder ans Fenster, doch ich verlor teure Zeit und geriet immer weiter in den Zustand der Verzweiflung. Die Stressspirale drehte sich immer schneller und schneller. Sie untermalte alles in meinem Leben mit einer Micky-Maus-Stimme, wie eine auf 45 RPM laufende Langspielplatte. Die Nerven meiner Augen zuckten, oberhalb des linken und unterhalb des rechten Auges.
Mein Gesicht hatte eine stressbedingte Nervenstörung in Stereo.
Episode 5/5
Oktober 2013
Mittlerweile befinde ich mich in einem seltsamen Zustand der Verzweiflung.
Ich weiß nicht wann ich das letzte mal ausgeschlafen oder ohne Kopfhörer gefrühstückt habe.
Freunde schicken die Polizei bei mir zu Hause vorbei, da sie häusliche Gewalt vermuten. Ich muss den besorgten Beamten erklären, dass dies keine blauen Augen sondern Augenringe sind.
Nichts desto trotz nehmen sie mich zum Schutz vor mir selbst mit auf die Wache, wo ich in einem der ausliegenden Magazine lese, dass Menschen mit Problemen oder Existenzangst, kreativer sind als glückliche Menschen. Und so fasse ich den Entschluss mir selbst Probleme zu machen, Existenzangst zu erzeugen, in ein tiefes schwarzes Loch zu stürzen.
Doch es ist unglücklicherweise gar nicht so einfach in ein schwarzes Loch zu fallen. Leider bin ich nicht Bugs Bunny und kann arglos ein Loch an die Wand malen und danach einfach einsteigen.
So ziehe ich mich vollständig in mein Studio zurück, schreibe diffamierende Kommentare in die Profile von Freunden, „vergesse“ Geburtstage und versaue es mir mit so ziemlich jedem Menschen, den ich kenne.
Doch soziale Isolation hat noch niemanden so richtig kreativ gemacht.
Nein! Nein! Nein! Man muss die 42,195 km der Strecke schon komplett laufen!
Man muss es wagen eine Distanz zu sich selbst, eine Ablehnung, ja… einen gewissen Ekel entwickeln zu können.
Nach Jahren der Abstinenz fange ich schließlich wieder an Cola zu trinken und Fast Food zu essen.
Ich bin ganz unten angekommen.
Geächtet, isoliert und auf dem Weg zum Übergewicht.
Der Einzige der noch mit mir redet bin ich – doch mehr als Vorwürfe kommen da auch nicht.
Kämpfend bewege ich mich nun gen Ende des Produktionsprozesses von einem Arrangement ins Nächste.
Doch immerhin rollt es endlich und die Things To Do Liste schrumpft dahin, während mir die Hüfte vom Cola-Zucker schwammig wird.
Nach allem kommt der Tag an dem ich denke, es geschafft zu haben.
Ich freue mich. Ganz allein.
Eine Dose Mandarinen in der Linken und ein Stück Konfetti in der Rechten.
November 2013
Nach all diesen anstrengenden Monaten erlaube ich mir einen kleinen Urlaub.
Nichts besonderes, nichts aufregendes. Ein wenig Nebensaisonsonne für meinen Cola-Körper. Es ist zu kalt, um ins Wasser zu gehen, aber das ist egal. Schließlich macht mein orangefarbenes Plastikarmband das Bier kosten- und endlos.
Dösen in der Herbstsonne.
Nach dem Frühstück ein Efes.
Eine Runde joggen am Strand, das Bier in der Hand.
Ich habe mir fest vorgenommen den Urlaub zum Entspannen zu nutzen. Mich herunter zu fahren, die Seele locker baumeln zu lassen.
Infolgedessen habe ich vor dem Antritt meines Ausflugs das Album von all meinen Geräten gelöscht. Ich möchte es in diesen bepalmten Tagen nicht hören. Nicht darüber nachdenken, es nicht einmal beim Namen erwähnen.
Ich erkläre es zu meinem ganz persönlichen Lord Voldemort.
Und so verbringe ich zufrieden einige vernebelte Tage im türkischen Herbstklima.
Risikobereit verzichte ich auf Sonnencreme, schäle mir anschließend meine Haut in abstrakten Formen vom Leib und lese den Hotelangestellten daraus die Zukunft (Ein kleines Dankeschön dafür, dass sie mich stets diskret auf mein Zimmer trugen, wenn sie Efes und mich in der Hotelanlage herumliegend fanden.).
Aber wie so oft im Leben hat diese Phase der Unbeschwertheit eine viel zu kurze Dauer, da ich auf dem USB Stick, welcher freundlich an meinem Schlüsselbund klappert, dann doch, ungewollt und unverhofft, die Tracks meines Albums durch den türkischen Zoll hindurch und in meinen Urlaub hinein schmuggelte.
Ich habe keine Kopfhörer dabei und so bleibt mir nichts anderes übrig als mich zum Parasailing anzumelden. Von dem Boot aus, welches den Fallschirm in die Luft schiebt, schreien seit Tagen die lokalen Dancecharts über das Mittelmeer.
Es hat also eine potente Soundanlage.
Außer mir ist eine russische Hochzeitsgesellschaft auf dem kleinen Boot.
Doch die Enge macht mir nichts aus. Die PA ist schön überdimensioniert und der Steuermann erlaubte mir mein Album Probe zu hören.
Gespannt lausche ich meinen Tracks, während die Gäste aus Novosibirsk einer nach dem anderen in den türkischen Mittelmeerhimmel hinaufsteigen und später holprig im Heck des Bootes niederkommen.
Sascha, ein sibirischer Handgranatensammler, nickte mir über seine Goldkette hinüber anerkennend zu.
Uns beiden gefällt das Album.
Dezember 2013
Das Jahr ist vorbei.
Das Album ist fertig.
Mein Gemüt ist zerfasert und jahrelang aufgebaute Freundschaften sind dahin.
Nachdem ich mich die letzten Monate zurückgezogen hatte und egoistisch Highatz, Hooks und Basslines vernaschte, gilt es nun alles daran zu setzen das Leben neben der Musik wieder auf stabile Beine zu stellen und zu retten was zu retten ist.
Als Radikalkur beschließe ich die Festplatte meines Studiorechners komplett zu löschen, auf welchem knapp 300 Skizzen liegen und mich in den nächsten Wochen ganz auf meine sozialen Kontakte zu konzentrieren.
„Ach…. dich gibt es auch noch?!?!“ ist das Motto dieser reumütigen Tage. Es wird mir zu Anfang eines jeden Telefonats, eines jeden Hausbesuchs kratzig ins Ohr gehustet.
Ich bin demütig wie George Michael nach dem Toilettenbesuch.
Die Verabredungen mit Freunden ersetzen die Tage im Studio. Ich backe diabetesfördernde „Es tut mir leid“-Kuchen und schaue lächelnd Kinderbilder an, während mir jeder der mittlerweile frisch gebackenen Väter erzählt, wie unfassbar weit sein Kind doch schon entwickelt ist. Wir müssen uns gar keine Sorgen um die Zukunft machen, scheinbar wächst da eine ganze Generation von Genies mit Doppelnamen heran.
Derweil habe ich Glück das die Weihnachtszeit und der mit ihr verwandte Glühwein, die Gemüter samtig macht und mir auf breiter Linie verziehen wird.
Und das ist auch dringend notwendig, fange ich doch bald an mit meinem Freund Mooryc an unserem „Eating Snow“ Album zu arbeiten.