Von Asien nach Südamerika. Von Südamerika zurück nach Europa. Vier Gigs pro Wochenende, Montag mal ein freier Tag, ab Dienstag ab ins Studio. Hier geht es manchmal von früh morgens bis spät in die Nacht. Rødhåd führt ein Leben auf der Überholspur und zeigt dennoch in fast jeder persönlichen Handlung, wie sehr er an grundlegendes glaubt.
Mike Bierbach alias Rødhåd hat gute Augen. Und damit ist nicht die Sehkraft gemeint, sondern diese kleinen Fältchen um den Augapfel, die trotz aller Müdigkeit eine Entspanntheit und sogar gewisse Güte ausstrahlen. Mit Rødhåd kannst Du ohne Frage Holz hacken gehen, das sagen nicht nur seine Augen und der erste positive Eindruck, sondern auch der exzentrische Style. Tatowiert, Vollbart, Tunnels, manchmal Karohemd oder sonst immer schlichte T-Shirts.
Lange Reisen, längere Nächte
Auf der Labelnight seines Imprints Dystopian im Mixed Munich Arts kommt er gerade von einem langen Flug aus Bogota. Ein doppelter Jetlag, der in dem Fall aber „gut funktioniert“ hat. „Man muss einfach gucken, dass man sich vor diesen anstrengenden Phasen fit hält. Die letzte Tour war etwas anstrengender, weil ich erst in Asien war und dann direkt nach Südamerika weitergezogen bin.“ Die Tour ist jetzt fast vorbei, es geht endlich wieder nach Berlin, nur ein Doppelgig in Bristol und Manchester trennt ihn noch vor der Heimreise.
- Das war der Dystopian-Samstag im Münchener Mixed Munich Arts (MMA)
Die Sehnsucht nach dem 9 to 5-Job?
Man möchte es glauben oder nicht. Aber Rødhåd ist nicht unbedingt der klassische Nachtmensch, was eigentlich im kompletten Gegensatz zu seinem Job steht. Das geregelte Arbeitsleben, das der Berliner ebenfalls kennenlernen durfte, vermisst er dennoch nicht: „Ich sehe mich nicht nach 9-5-Leben. Ehrlich gesagt habe ich mich schnell daran gewöhnt, nicht mehr normal zu arbeiten. Und kann mir das auch nicht mehr vorstellen. Obwohl ich ein Morgenmensch bin.“ Denn sobald Zeit ist, steht Rødhåd auch schon morgens im Studio und bleibt dort in langen Produktionsphasen auch bis Mitternacht. „Nur Montags mach ich meinen freien Tag, ansonsten bin ich im Studio und dann unterwegs“
Dieser Dialekt bringt Mauern zum Einstürzen
Rødhåd erzählt das alles frei von der Leber weg, er ist gelöst als er erfährt, das Interview auf Deutsch geben zu können. Um 4.30 Uhr morgens ist das kaum ein Wunder. Im breitesten berlinerisch spricht er über seine Tour, gluckst immer mal wieder und das nur wenige Minuten vor dem Gig. „Der Dialekt ist so in mir drin. Das lässt sich so schnell gar nicht abgewöhnen.“ Dieser Kerl ist eine grundentspannte Type, das wirkt nicht nur auf den Online-Videos von Rødhåd so, das ist Authentizität.
Was soll der Hype?
Über den aktuellen Steilflug, der bei Dystopian und auch bei Rødhåd als Solokünstler spät einsetzte, ist der Hauptstädter immer wieder erstaunt: „Ich bin schon immer eher der bodenständige Typ gewesen. Für mich ist es auch immer komisch, wenn Leute zu mir kommen und mich als Superstar-DJ feiern. Ich mach’ ja nichts anderes, als ich schon 15 Jahre davor gemacht habe. Nur jetzt auf einem anderen Level bezüglich der Fliegerei.“
Wichtig ist für Mike Bierbach, seine Fans auch weiterhin im Club zu erspielen – nicht online. Er möchte mit den Menschen „in echt“ agieren, das ist Motivation und gleichzeitig auch der Antrieb. „Ich habe öfter darüber nachgedacht, was mir Kraft gibt. Am Ende sind es immer die Menschen auf den Partys, die einem die Energie geben – selbst wenn man todmüde ist und schon viermal gespielt haben am Wochenende.“
Rødhåd über Freunde und Partner
In Südamerika gab es für die Dystopian-Crew auch Besuch aus der Heimat zum gemeinsamen Spielen. Modeselektor, die mit ihren Labels 50 Weapons (mittlerweile eingestellt) und Monkeytown die Szene maßgeblich mitgestalteten, waren ebenfalls für das Sonar nach Südamerika gereist. „Klar pflege ich die Beziehung zu Modeselektor, das sind ja unsere Atzen. Die Jungs sind ja auch Ossis und da freuen wir uns immer, wenn wir Zeit zum Abhängen finden.“
Und auch die Verbindung zu Innervisions schlägt bei Rødhåd immer wieder durch, erst kürzlich bei einem sehr erfolgreichen Back to Back-Gig mit Kristian Beyer von Âme: „Kristian und ich kennen uns schon einige Jahre. Und wir haben vor dem Barcelona-Set schon mal zusammen gespielt. Aber ich fand auch die Mischung gelungen, weil der Kristian einen Schritt in meine Richtung macht und ich einen Schritt in seine Richtung. Und da passieren dann auch Platten, die wir sonst nicht so spielen würden – ein Überraschungseffekt auch für mich und das Publikum. Manchmal ist das sogar lustig.“ Da fällt die Bilanz auch kurz und recht eindeutig aus: „Der Kristian kann auch auch richtig Techno spielen, wenn er will.“
Die Technik und das Label
Wenn Rødhåd derzeit eines zur Perfektion beherrscht, sind es die unglaublich treibenden und fülligen Peaktime-Sets, die er wochenendlich präsentiert. „Ich spiele aktuell mit vier CD-Spielern und loope und layere viel, um auch Momente mit sehr dichten Passagen zu schaffen, es aber auch mal wieder aufzulockern”, so sein Einblick. Beim Dystopian-Labelboss gibt es nicht nur funktionalen Techno, er bricht aus dem typischen Tool-Sound internationaler Stars aus und setzt dann auch den einen oder anderen Akzent durch Melodie. Genau dieses Konzept passt auch so gut zu seinem Label Dystopian, das vor vielen Jahren als Partyreihe von Freunden gestartet ist. Diese Crew existierte bereits vor 15 Jahren und ist immer noch in dieser Formation aktiv.
Die letzte Platte auf Rødhåds Label kam von Monoloc, der vor allem durch Releases auf CLR oder auch Scubas Hotflush auffällig wurde: „Monoloc hat uns das Album geschickt und wir waren sehr angetan und fanden, dass es den richtigen Spagat aus Club und Homelistening darstellt. Es hört sich super durch, vor allem auch im Flugzeug – denn da verbringe ich viel Zeit. Das passt wie die Faust aufs Auge.“ Die Musik gibt Rodhad von früh bis abends, doch es gibt für ihn mehr.
Der Traum des Mike Bierbach
„Außerhalb der Musik ist mein Ziel, ein normales Leben zu führen. Freundin, Familie, Freundea, vielleicht auch bald mal über die Familienplanung nachdenken. Mein Leben ist momentan sehr auf die Musik ausgerichtet und da gibt es noch eine ganze Menge Sachen mehr, die ich machen möchte.“