Seine Musik sprüht vor Emotion, er ist die lebendig gewordene Feiermaschine hinter dem DJ-Pult und schafft es, durch seine musikalische Besessenheit das Publikum anzustecken. Privat präsentiert er sich als Familienvater, der viel zu wenig schläft. Stephan Bodzin ist eines der bekannstesten Gesichter der Technoszene, hinter dem so viel Ambivalenz steckt. Im Interview mit Feelectronica.de kündigt Stephan Bodzin ein neues Album an und sagt: „Ich weine auch zu meinem Sound. Aber vor Freude.“
Es ist kurz nach Mitternacht, die Schlange vor dem Odonien in Köln reiht sich bereits bis zur Straße auf. Nach dem Passieren des Kassenhäuschens geht es erst einmal über einen kunstvoll arrangierten Schrottplatz in Richtung Club. Der Charme des Odonien ist genau in diesem scheinbaren Chaos zu finden. Alte bunt bemalte Autos, Industrieflair und so viel Rost überall. So viel Rost! Der Club erinnert in Sachen Innenleben an eine Lagerhalle im Miniaturformat, ein Ort, an dem sich sonst eher Korn und Kraftfutter stapeln.
Zwei reduziert gestaltete Räume präsentieren sich dem Besucher mit schlichten Lichtinstallationen an der Decke. Zwei Räume, zwei DJ-Pulte und hinter einem der beiden Pulte sitzt er schon, der Star des Abends: Stephan Bodzin. Schwarzer Parker, markante Brille, ansonsten unscheinbar. Die Dame neben ihm, die für das Warm-Up an diesem Tag zuständig ist, ist seine Frau Luna Semara. Er begleitet sie heute bereits ab 23 Uhr und ist deshalb schon zeitig vor Ort. Echter Zusammenhalt. „Wir sind eine Musikerfamilie und das ist unser Leben“. So legen neben Stephan Bodzin selbst eben auch seine Frau und sein mittlerweile 20-jähriger Sohn (DJ-Alias SURREAL) auf. Nur die zweijährige Tochter darf sich noch dem wohlverdienten Schnuller widmen.
Weg von der Funktionalität
Bodzin ist ein nahbarer Typ, einer der sich auszudrücken weiß, Selbstbewusstsein versprüht und auch etwas zu erzählen hat. Eine echte Persönlichkeit, die sich seit 2014 auch deutlich mehr in seiner eigenen Musik gefunden hat: „Ich habe viel gemacht und bin viele Wege gegangen. Ich habe mich auch zu vielen Dingen verleiten lassen, zum Beispiel, als ich mich zwischen 2009 und 2013 in ein etwas knackigeres Gebiet habe treiben lassen. Da musste ich rückwirkend einfach feststellen, dass das nicht so ganz ich war, wie ich mich sehe. 2014 hat sich eine Seite wieder in mir hervorgetan, der ich dringend folgen musste.“ Es entstand das Erfolgsalbum „Powers Of Ten“.
Mehr Emotion, weniger Funktion war der grundlegende Gedanke hinter diesem Ausnahmewerk. „ Ich habe mich doch sehr aufgrund dieses vielen Headlinebookings der Funktion verschrieben. Denn wenn die Hände nicht in der Luft sind, ist es doch scheiße.“ Nun versucht der Bremer es also auf seine Art. Und dieser Vorstoß geht auf.
Stephan Bodzin über Jekyll und Hyde
Monatelanges Touren, Musik produzieren und zuhause für die Familie da sein. Diesen Spagat würden nur wenige meistern. „Das ist Jekyll und Hyde was ich mache, auch in mir. Der Umbruch vom Wochenende in die Woche und von der Woche ins Wochenende ist jedes Mal der reine Wahnsinn.“
Das nächste Album kommt 2017
Genügend Arbeit hat der 46-Jährige bereits – eigentlich ausreichend für zwei Leben. Dennoch wird nach dem 2015 releasten Powers Of Ten-Album diesmal schnell nachgelegt. „Ich arbeite wieder an einem neuen Album. Und ich will keinen draufsetzen, sondern einen dransetzen. Das möchte musikalisch auch in eine gleiche Kerbe schlagen, denn ich bin grundsätzlich ganz zufrieden mit meiner defensiven Handschrift, die ich auf Powers Of Ten habe. Mit diesem Stift möchte ich jetzt noch ein Buch schreiben.“
Drei Nummern stehen bereits, 300 weitere Ansätze liegen auf dem Rechner. Viele davon entstehen im Flugzeug auf der Tastatur seines Macbooks. „Es ist eigentlich eine Frage der Sortierung. Das Konzept für das Album steht schon, Artwork und der Name auch. Es soll im Februar oder März 2017 kommen.“ Bodzin betont, dass es gerade jetzt Sinn mache, noch ein Album nachzuschieben. Nicht nur aus kreativen Gründen, so laufe auch das Business. Es ist der Zenith einer Karriere, der noch einige Jahre andauern dürfte.
Melodien mit hoher Leidensfähigkeit
Große Veränderungen in Sachen Sound soll es beim kommenden Album nicht geben. Die LP wird wieder von höchst emotionalen melodischen Pattern geprägt sein, die nicht nur clubtauglich sind, sondern auch den nötigen musikalischen Anspruch besitzen. Musik, die ebenfalls den Bremer selbst packt: „Ich weine auch zu meinem Sound. Aber ich weine vor Glück, vor Freude. Ich weine nicht, weil es mir schlecht geht. Ich sitze im Studio und bin ergriffen. Die Momente wirst Du kennen, wenn Dich was berührt. Und eigentlich kann ich auch nur diese Sachen fertigmachen.“
Stress, lass nach!
Hinter dem neuen Album verbirgt sich ein neues Mammutprojekt, das sich auch auf das Schlafverhalten des 46-Jährigen auswirkt. „Ich bin der Antischläfer und ich werde mich jetzt mit einem Stressmanager zusammensetzen, damit ich ein bisschen runterkomme. Aber ich bin sehr getrieben und schlafe zu wenig.“ Verständlich wird das insbesondere für denjenigen, der die Karriere von Stephan Bodzin unter die Lupe nimmt. Denn erst mit Mitte 30 hat der Norddeutsche mit dem Auflegen begonnen.
Zuvor hatte der Berufsmusiker 15 Jahre lang lediglich produziert. „Jeden Tag als Meganerd im Studio, ohne dass ich eine Platte aufgelegt habe. Und da rede ich nicht von fünf Tagen, sondern von sieben bis neun Tagen die Woche.“ Mit 35 Jahren wurde es für Bodzin dann doch noch Zeit, sich zu sozialisieren und „mit anderen Menschen zu reden“. Heute ist der Künstler international unterwegs, spielt manchmal drei bis vier Gigs in der Woche. Unvernunft? Ja, gesteht der Act. „Das Wasser auf meinem Artistrider ist aber wenigstens ein erstes Anzeichen der Vernunft“.
Stephan Bodzin: „Es ist fürchterlich, was ich für Fratzen ziehe“
Wer Bodzin live erleben durfte oder eines seiner zahlreichen Live-Videomitschnitte kennt, weiß, mit wie viel Engagement der Künstler unterwegs ist. Seine Mimik ist einzigartig und das ist nicht einmal Absicht. „Das Liveset ist so live und fordert so viel Einsatz von mir, dass ich eigentlich gar nicht anders kann als zu leiden, weil ich die ganzen VSTs und Synths bediene. Sonst passiert da nichts. Da laufen Midifiles in Hintergrund und ich kontrolliere die Synths. Das ist sehr aufreibend. Das sieht immer gleich aus und die Videos sind für mich fürchterlich, ich konnte mir das Boiler Room-Video gar nicht angucken, was ich da für Fratzen ziehe.“
Vom Musiker zum Hühnerbaron
Die Musik soll aber nicht das einzige Standbein des Familienvaters bleiben. Im Interview mit feelectronica.de verrät Bodzin: „Ich werde der Hühnerbaron Deutschlands. Ich werde Hühner verkaufen, denn ich habe vor ein Restaurant zu eröffnen. Das sind aber noch ganz ungelegte Eier. Da geht’s mir irgendwie um den Spaß.“ Zusätzlich laufen Planungen, in den nächsten Jahren mehr in die Instrumenten- und Gearentwicklung einzusteigen. „Da habe ich viele Ideen für intuitive lebendige Performance, die es so noch nicht gibt. Sichtbare Performance.“ Langweilig wird es Stephan Bodzin nicht werden. Und mehr Schlaf scheint anhand der neuen Pläne ein weit entferntes Ziel zu sein.