Laut Faze Magazin ist das Watergate in Berlin 2015 der viertbeste Club der Nation. Doch warum begeistert die Location die internationale Technogemeinde?
Marco und ich sind schwarz gekleidet. Unaufgeregter Style, Röhrenjeans, schlichte Jacken, dunkle Schuhe, keine Accessoires außer winterlicher Mütze und einem Schal. Dazu ein praktischer Turnbeutel für Tempos, Geld und eben diesen Schal. Warum leite ich mit unserer Klamotte ein? Mit ihr kann ein Abend in Berlin stehen und fallen. Soweit, sogut: Haltestelle Warschauer Straße im Szenebezirk Warschauer Straße steigen wir aus der S-Bahn.
Technostrich – das elektronische Zentrum Berlins
Hier liegt der legendäre Technostrich am RAW-Gelände mit Clubs wie dem Cuicide Circus oder dem Crack Bellmer. Ganz in der Nähe ist das Berghain situiert und eben auch das Watergate, einer der beliebtesten Adressen der Großstadt und bekannt für sein angeschlossenes Label, das große Künstler im Bereich Techno und Deep House vertritt.
Klasse: Kurz vor 3
Wer aus der Bahnstation Warschauer Straße stolpert, orientiert sich erst einmal links. Wir latschen einige Minuten geradeaus, Augustiner vom Späti um die Ecke in der Hand, es ist kurz vor 3 Uhr und affenkalt. Das eisige Bier aus dem Kühlschrank macht es schöner, aber die Temperatur nicht besser. Beste Weggehzeit für die Hauptstadt, in sämtlichen anderen Städten ist es dank der Sperrstunde schon zwei Stunden vor Ladenschluss. Danke Berlin, hier dürfen wir wieder mal länger feiern.
Orientierung Oberbaumbrücke
Die Oberbaumbrücke, die Schnittstelle zwischen Kreuzberg und Friedrichshain markiert den Standort. Dieses rote neugotische Riesenteil nach den Plänen Otto Stahns ersetzte 1902 die ehemalige Holzbrücke, die damals noch den Bogen über die Spree spannte. Das war natürlich noch lange vor der Zeit der Generation Techno. Direkt hinter der Brücke geht es links rein. Ein Gebäude mit riesiger Glasfassade ist das Zuhause des Watergates, gegenüber befindet sich das prominente Musiklabel Universal Music.
Nette Tür
Die Türpolitik in Berlin ist für Touristen sowieso nicht ganz einfach zu verstehen. Als Tourist bezeichne ich auch mal mich als Allgäuer / Würzburger und Marco, der ebenfalls aus dem Frankenlande kommt. Da wir beide viel feiern, wissen wir, wie es laufen kann. Auch für Menschen, die sich tagtäglich mit elektronischer Musik beschäftigen. Im Watergate ist an diesem Abend gottseidank keine Schlange, es wird relativ zügig reingelassen. Nur die Frage, wie viele Leute wir sind, wird gestellt. Und das sogar noch relativ freundlich – das ist schon mehr, als du in vielen anderen Läden in Berlin erwarten darfst. Wir sind drin.
Tourismusschuppen?
Das Watergate gehört nicht nur zu den angesagtesten Adressen der Stadt, sondern ist auch bei den Hauptstadtkindern als Touristenladen verrufen. Berliner gehen dann eher in szenigere Läden wie das Golden Gate, das weniger DJ-Fame bietet aber deutlich abgefuckteren Flair. Abgefuckt ist hier übrigens ein Kompliment.
Göttliches Line-Up
Warum wollen wir ins Watergate und nicht ins Golden Gate? Uns lockt das Line-Up an diesem Abend. Es spielen H.O.S.H von Diynamic Music, Dapayk mit seinem Live-Set und zahlreiche Watergate-Acts wie Ruede Hagelstein, Magit Cacoon, La Fleur und Lee Jones. 15 Euro zahlen wir für den Eintritt. Kein Pappenstil für Berliner Verhältnisse, für das Line-Up aber angemessen. Es ist was los, allerdings moderat und angenehm. Keine Drängelei, keine Leere. Für uns ein perfekter Zustand – zu volle Clubs sind nicht attraktiv.
Während die Headliner Hagelstein, H.O.S.H und Dapayk im oberen Raum mit seiner eindrucksvollen LED-Decke mit Blick auf die Oberbaumbrücke spielen, haben sich die weiteren Watergate-Acts auf dem Waterfloor im unteren Geschoss versammelt. Von hier bist Du eins mit der Spree, feierst fast auf der Höhe des Wassers, siehst das funkelnde Universal-Logo und die tollen Türme der Brücke, die wie das Spreewasser rabenschwarz wirken.
1:0 für den Waterfloor
Soundtechnisch gefällt uns der Waterfloor von der Anlage auf Anhieb besser. Sehr klare Klänge, schön laut und trotzdem mit einer Möglichkeit, sich noch lax zu unterhalten. Auch hier sind LED-Elemente in eckigen Formen an der Decke angebracht. Insgesamt wirkt das Watergate aufgeräumt, stilvoll und fast schon zu sauber, vergleicht man es mit den hölzernen Aufbauten eines Sisyphos oder auch den durchgelegenen verbrauchten Antikmöbeln der Wilden Renate. Anderes Konzept, anderes Publikum.
Im Sommer gibt es auf Höhe des Waterfloors noch einen Steg, von dem aus unter anderem auch schon der Boiler Room übertragen hatte.
La Fleur und Magit Cacoon überragend
Natürlich ist es schwer, den Überblick bei solch‘ einer Gewalt an verschiedenen Acts zu behalten. Doch wir schaffen es, jeden Act des Abends ein bisschen mitzunehmen. La Fleur und Magit Cacoon schaffen es allerdings, uns zu halten. Beide sympathisch bis in die Haarspitzen und voller Talent für roughen Sound, der aber nicht nur flachen und eintönigen Techno verkörpert. Magit Cacoon schafft es nach einem nicht soften Ende von La Fleur noch einen draufzusetzen. In Kombination mit dem Ausblick, einem wahren Techno-Fenster zur Spree und der toll ausgesteuerten Anlage schaffen wir es, fast bis Sonnenaufgang unsere Füße in Bewegung zu halten.
Merch als ByeBye?
Wer nicht konsumiert und auch noch eine Samstagnacht in der Hauptstadt vor sich hat, beschließt irgendwann sinnvollerweise den Heimweg. Uns treibt der Hunger – zugegeben. An der Garderobe allerdings noch die letzte Verführung des Abends. Nein, kein Mädchen. Merchandising! Hier werden die Platten und weitere kleine Gadgets von Watergate Records verkauft.
„Standhaft bleiben“ lautet jetzt unsere Devise, wir wollen Currywurst, keine Platten. So weit ist es schon gekommen. Früh morgens um sechs Uhr vielleicht die beste Entscheidung mit einem Suff im Nacken. Fett für den Körper, Curry für den Geist oder irgendwie so heißt das doch. Wir wollen gestärkt aber hundemüde zur S42. Marco pennt irgendwann in der S5 ein. Ein deutliches Zeichen. Die aufgepeitschte Stimmung nach Magit Cacoon hat sich in den kalten grauen Wartebereichen des öffentlichen Berliner Verkehrsnetzes irgendwo verloren. Darf sie ja auch – sie kommt wieder. Genauso wie wir ins Watergate.