Die Rakete in Nürnberg gehört zu den Szenemittelpunkten der Nation. Das ist wohl lange schon kein Geheimnis mehr. Mit ihrer „Summer Session“ feiert sie den Höhepunkt ihrer Out- und Indoorevents des Jahres und zeigt, warum dieser Club seit Jahren eine Institution ist.
„Noch mehr Superlative“ versprach der Club für 2015 und zeigt schon bei der Ankunft am Platz, dass Minimalismus und große Namen durchaus zusammenpassen können. Der Kassenbereich ist vor dem Gelände schlank gehalten. Es ist lediglich ein kleines Zeltchen, das direkt auf den Hof der Location führt. Einmal durchgelaufen, eröffnet sich einem die Welt der Rakete. Hier stampfen Barfüße im Staub, Unkraut sprießt aus den Ecken und große rote Heliumballons und die legendären fünf Buchstaben als Leuchtreklame mit dem Namen „MUSIK“ versprühen genau die Atmosphäre, die viele große Produktionen schmerzlich vermissen lassen. Hier ist alles wie immer, irgendwie ehrlich, was heißt: die Betreiber Stefan Riegauf und Moritz Richter, selbst beide DJs, haben keine großen Änderungen für die Summer Session vorgenommen. Die Rakete bleibt fernab von Schischi, für den Charme sind die Leute, die Anlage und die DJs zuständig.
MIDAS 104 verzaubert den Garten
Nur eine kleine Outdoorstage steht im Garten, die von den Raketenresidents Stefans Skifos, Paul Schmidtpeter, Hanna Wolkenstraße unter ihrem neuen Moniker „In-Common“ und dem Headliner für den Außenbereich, MIDAS 104 bespielt werden. Das Gelände füllt sich gegen 20 Uhr, „In-Common“ treibt die Menge für Willi Schumacher alias Midas 104 zusammen. Er spielt im Anschluss live. Was mit einer trockenen Kick startet, wird zu dem fülligen und verschickten Sound, der den Berliner zum Label URSL gebracht hat. Wenige Worte mit ihm beweisen: bodenständig, nah an den Leuten, charmant, kein großer Entertainer, keine Hände in der Luft, kein Trara. Nur seine Musik.
Hier ein kurzer Ausschnitt vom MIDAS 104-Liveset:
MIDAS 104 in der Die Rakete Nürnberg. So eine herrliche Summer Session :)www.feelectronica.de
Posted by Feelectronica.de on Samstag, 29. August 2015
Um 22 Uhr schließt der Außenbereich und auch die Terrasse, auf der Raketenresidents, darunter Gleb Lasarew mit einem Liveset, einen kleinen Floor beschallt hatten. Nun liegt der Fokus auf dem neu gestalteten Bauch der Rakete und der Makrobe sowie dem angrenzenden Club „Hirsch“. PatPat und Chris Binder im Raketengebäude, Bernhard Groeger im Hirsch – diese Kombo heizt vor. Groeger darf sich sicherlich nicht zum ersten Mal optisch und von seinen Bewegungsabläufen einen Vergleich mit Sven Väth gefallen lassen. Sicherlich ein ziemlich großes Kompliment. Sein Warm-Up für Stephan Bodzin ist durch die Kombination Groegerlook & Vinylsound spektakulär. Ein anderes Wort gibt es dafür kaum.
Bodzin versus Sebo K
Wohin gehen? Vor dieser Entscheidung stehen alle, die den 24-Stunden-Rave besuchen. Um 1 Uhr fällt die Entscheidung sicherlich nicht einfach. Stephan Bodzin mit seinem energetischen und treibenden Sound, der mit seinem Album „Powers Of Ten“ sicherlich eine der Platten des Jahres brachte oder doch lieber Watergate-Act Sebo K auf dem neu renovierten Raketenfloor mit verbesserter Funktion One? Vor allem die Temperaturen sprechen hier für den Hirsch, herrschen in der Rakete bereits Zustände, auf die jede finnische Sauna stolz wäre.
Stephan Bodzin: Wie macht der Mann das nur?
Es wird Stephan Bodzin. 46 Jahre alt. Vater eines 19-jährigen Sohnes. Szeneikone. Bremer. Ein Gott des Technos. Gewohnt mit Glatze und dicker schwarzer Eckbrille beweist schon sein Opener, warum diese Entscheidung, diese Wahl nicht verkehrt war. Zwei Stunden lang brettern hier Tracks vom neuen Album und einige Klassiker um die Ohren. Stephan Bodzin leidet mit, bearbeitet sein Effektgerät, grinst mal, verzieht schmerzerfüllt sein Gesicht. Wie macht der das nur? Abend für Abend der gleiche Sound, DJing, mittlerweile auch mit seinem Liveset. Und immer diese Energie, immer wieder neue Emotion, neues Leiden – 46 ist er. Kein Jungspund. Wahnsinn. Kleiner oder persönlich sogar großer Wehrmutstropfen des Sets: Gegen Ende bringt der Bremer wieder Tracks, die bereits während des Sets liefen. Eine gängige Praxis bei großen Acts, um auf den Wechsel auf der Tanzfläche zu reagieren und zu zeigen: „Hey, der hier ist wichtig“. Nachvollziehbar? Nein.
Bin immer wieder sehr geflashed, wie viel Energie sich Stephan Bodzin über so viele Jahre erhält.www.facebook.com
Posted by Feelectronica.de on Samstag, 29. August 2015
Hochkaräter bis 9 Uhr vormittags
Raketenbesucher feiern in Berliner Manier. Die Weltacts starten nachts, gespielt wird mit Hochkarätern bis 9 Uhr. Auf Bodzin folgt im „Hirsch“ noch Stefano Noferini, dann ist hier Schluss. In der Rakete geht es deutlich länger. Nach Sebo K kommt erst Butch, später der unfassbare Radio Slave gefolgt von ANIÈ. Der Chef Stefan Riegauf spielt selbst um 11 Uhr. Hoffentlich hat er dazwischen eine Mütze Schlaf getankt, ist er doch seit 14 Uhr am Vortag am verkabeln, Ab- und Aufbau und im Gespräch mit seinen Bookings und Gästen.
Stilvoll bis zum Schluss
Das Booking und die Machart der Summer Session zeigen, dass Passion und Professionalität hinter diesem Club stehen. Einen Ruf erarbeitest Du Dir nie über einen kurzen Hype, sondern immer langfristig. Die Rakete ist absolut soundfokussiert, hier braucht es keine großen Videowände, keine superaufwändige Lichtshow. Hier bist Du allein, mit Dir, dem Sound und den schwitzenden Körpern um Dich herum. Ok, eine Klimaanlage – die wäre für den einen oder anderen Feiernden sicherlich noch eine feine Sache.